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Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) in Kraft getreten
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„Wir sind froh, dass sich das Thema „digitales Prüfen“ bewegt“, sagt Harald Töltl, Geschäftsführer Berufliche Ausbildung bei der IHK Rhein-Neckar und Autor eines Kommentars zum Berufsbildungsgesetz. Der Paragraf 42 des BBiG, der sich der Beschlussfassung und Bewertung der Abschlussprüfung widmet, wird jetzt durch den Paragrafen 42a ergänzt. Dieser enthält Regelungen zur „Virtuellen Teilnahme von Prüfenden“.

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Beschreibung

Am 1. August 2024 ist das sogenannte „Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG)“ in Kraft getreten. Mit dem BVaDiG wird das Berufsbildungsgesetz unter anderem durch den § 42a „Virtuelle Teilnahme von Prüfenden“ ergänzt.

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Der Bedarf ist da. Gerade in der Corona-Zeit habe es häufig Anfragen gegeben, ob digitale Prüfungen möglich seien, blickt Töltl zurück. Und zwar sowohl von Prüfenden als auch von Prüflingen und Ausbildungsbetrieben. Als „ungeordnet situativ“ bezeichnet Töltl das damalige Vorgehen in der Ausnahmesituation, in der auch digital geprüft wurde, und betont: „Dass man das jetzt geregelt hat, ist aus meiner Sicht erst einmal positiv“. Die neuen Regelungen, an denen sich zuständige Stellen und Prüfende orientieren können, nimmt Leando zusammen mit Harald Töltl für die Praxis unter die Lupe.

Von Anfang an: Was besagt Paragraf 42a BBiG?

Statt dass der gesamte Prüfungsausschuss u einer von der zuständigen Stelle bestimmten Ort kommt, um dort etwa eine mündliche Prüfung abzunehmen, können sich Prüfende unter bestimmten Bedingungen auch online zuschalten. Laut § 42a gibt es zwei Möglichkeiten, wie dies zustande kommen kann. Siehe § 42a BBiG - Einzelnorm

Theoretisch kann die zuständige Stelle bestimmen, dass Prüfende virtuell an einer Prüfung teilnehmen. „In der Praxis sieht das natürlich anders aus“, sagt Harald Töltl. Die zuständige Stelle wird nur in Abstimmung mit dem jeweiligen Prüfungsausschuss oder der Prüferdelegation Leistungen virtuell abnehmen lassen. Denn wenn sie dies über die Köpfe der Prüfenden hinweg bestimmen wollte, könnte sie am Ende ohne Prüfungsausschuss dastehen.

„Das virtuelle Prüfen sollte immer nur in Abstimmung zwischen zuständiger Stelle und Prüfungsausschuss erfolgen. Ohne unsere Prüfenden könnten wir es nicht machen.“

Die zweite Möglichkeit ist, dass ein einzelner Prüfer oder eine Prüferin bei der zuständigen Stelle eine virtuelle Prüfung beantragt. In diesem Fall ist es notwendig, dass die übrigen Prüfenden des jeweiligen Prüfungsausschusses oder der jeweiligen Prüferdelegation dem Antrag zustimmen. Die zuständige Stelle kann dem Antrag nicht widersprechen.

Nur unter neun Bedingungen: Wann darf virtuell geprüft werden?

Ganz gleich, von wem der Impuls zur virtuellen Prüfung ausgeht: Sie ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich, die ebenfalls in § 42a geregelt sind. Wenn ...

  • 1. die abzunehmenden Prüfungsleistungen für diese Form der Durchführung geeignet sind,
  • 2. die Prüflinge mit der Ladung zur Prüfung über diese Form der Durchführung informiert worden sind,

Die ersten beiden Bedingungen beziehen sich dabei auf die Form, wie die Prüfungsleistung, abgenommen wird, und auf die Information der Prüflinge über die Art der Prüfungsdurchführung.

„Die mündliche Prüfung ist für diese Art der Prüfungsdurchführung ideal“, bezieht Harald Töltl Stellung. Diese Vorgehensweise sei für die virtuelle Durchführung prädestiniert. Ob und welche Prüfungsleistungen darüber hinaus digital abgenommen werden können, hinge auch stark mit den technischen Voraussetzungen zusammen. „Wenn die Prüfer nur ein Gespräch mit den Prüflingen führen, beispielsweise (bei einem fallbezogenen Fachgespräch) beim Verkäufer, braucht man nur eine standhafte Internetleitung, einen PC, ein Mikrofon und eine Kamera“, sagt Töltl, „bei einem Rollenspiel (in einer Gesprächssimulation) sieht das schon anders aus. Hier können zum Beispiel Utensilien oder Unterlagen für ein Kundengespräch notwendig sein. Bei Aufgaben, die zentral gestellt werden, definieren die Vorgaben der Aufgabenerstellungseinrichtung, was für die Abnahme der Prüfungsleistungen erforderlich und gegebenenfalls auch geeignet ist“.

„Die mündliche Prüfung ist für diese Art der Prüfungsdurchführung ideal.“

Bei einer Arbeitsprobe etwa müsste schon bei der Erstellung der Aufgabe überlegt werden, ob die Prüfungsleistung sich für die digitale Abnahme eignet. „Ohne zu technisch zu denken, machen einige Prüfungen online keinen Sinn“, sagt Töltl und bringt als Beispiele die Berufe Koch/Köchin oder Berufskraftfahrer an. „Virtuell einparken oder Schnitzel braten funktioniert nicht.“ IT-Berufe seien dagegen prädestiniert, Prüfungsleistungen digital abzunehmen. „Die Experten, die die Prüfungsaufgaben erstellen, sind auch Mitglieder in einem Prüfungsausschuss. Sie können sich in die Situation der Prüfenden und der Prüfungsteilnehmer versetzen und können im Zweifelsfall über die Eignung der zu erbringenden Prüfungsleistung für eine virtuelle Prüfung  entscheiden. “, sagt Töltl.

Der Prüfling muss wissen, was ihn erwartet

Wenn Prüfer oder Prüferinnen virtuell teilnehmen, muss der Prüfling mit der Ladung zur Prüfung hierüber informiert werden. Welche Ladung dabei gemeint ist, kann aus Sicht Harald Töltls unterschiedlich interpretiert werden. „Am praktikabelsten wird es sein, wenn diese Ankündigung so kurzfristig wie möglich erfolgt“, sagt Töltl mit Blick auf die Prüfungspraxis. „Am besten kommt diese Information erst mit der Ladung zu dem Prüfungsteil, den es betrifft.“ Denn nach der Ladung zum ersten Prüfungsteil kann sich im Prüfungsablauf noch vieles verändern und die ursprünglich vorgesehene Form der Durchführung gegebenenfalls nicht mehr so vorgenommen werden, wie ursprünglich gedacht.

Der Prüfling selbst muss mit der Prüfungsform übrigens nicht einverstanden sein. Er wird nur darüber informiert. Dabei ist durchaus das Szenario möglich, dass ein Teil der Prüflinge eines Prüfungstermins virtuell geprüft wird und der andere Teil in Präsenz. „Bei großen Prüfungen brauchen wir alle Prüfungsausschüsse“, betont Töltl. „Und da wird es sicherlich vorkommen, dass es Prüfungsausschüsse gibt, die gerne virtuell prüfen wollen und andere, die auf die Prüfung in Präsenz bestehen“, vermutet der Experte. Dadurch könne die Durchführungsform von Prüfungsgremium zu Prüfungsgremium abweichen – insbesondere in den Fällen, in dem ein Prüfender die Durchführung einer virtuellen Prüfungsteilnahme beantragt. Gesetzlich sei das nicht geregelt. „Es ist nicht gesagt, dass die Form durchgehend für alle Prüflinge gleich sein muss.“

Videokonferenztechnik und technische Störungen

Eines ist auf jeden Fall gleichgeblieben: Der Prüfling muss zu dem von der zuständigen Stelle genannten Ort physisch erscheinen und steht dort unter Aufsicht. Mindestens ein Prüfender muss sich am selben Ort befinden.

Um die virtuelle Prüfung zu ermöglichen, müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, die sich auf die Videokonferenztechnik beziehen. Hier muss unter anderem sichergestellt sein, dass diese funktionsfähig ist und Prüfende sowie Prüfling hiermit vertraut sind.

Die Voraussetzungen sind also erfüllt, wenn ...

  • 3. die Prüflinge sich unter Aufsicht an einem Ort befinden, der von der zuständigen Stelle festgelegt worden ist,
  • 4. sich mindestens ein Prüfender am gleichen Ort wie die Prüflinge befindet
  • 5. die zuständige Stelle die zu nutzende Videokonferenztechnik festgelegt hat und deren Funktionsfähigkeit sowie deren Barrierefreiheit sicherstellt,
  • 6. den Prüflingen und den Prüfenden vor der Prüfung ausreichend Gelegenheit gegeben worden ist, sich mit der Videokonferenztechnik vertraut zu machen,
  • 7. während der Abnahme der Prüfungsleistung eine für die Videokonferenztechnik sachkundige Person zur Verfügung steht,
    8. bei vorübergehenden technischen Störungen, die nicht durch den Prüfling zu vertreten sind, der damit verbundene Zeitverlust durch entsprechende Zeitverlängerung ausgeglichen wird und
  • 9. keine Aufzeichnung der Videokonferenz erfolgt.

Eine Garantie, dass die Funktionsfähigkeit der Videokonferenztechnik stets zuverlässig sichergestellt werden könne, könne niemand geben, kommentiert Töltl die gesetzliche Bestimmung. Es könne immer passieren, dass fünf Minuten vor Prüfungsbeginn noch alles läuft und dann nichts mehr geht.

Im Übrigen sieht der IHK-Geschäftsführer bei technischen Störungen keine wesentlich anderen Auswirkungen auf die Prüflinge als bei Prüfungen in Präsenz: Bei einem Feueralarm im Gebäude sei dieses ja auch zu verlassen. Eventuell kann die für die Videotechnik sachkundige Person (nach Nr. 7) ein Votum abgeben, wie die Störung einzuschätzen ist. „Wenn eine Störung unzumutbar erscheint, werden auch in Präsenz-Prüfungen die Prüflinge gefragt, ob sie die Prüfung fortsetzen wollen oder lieber erneut antreten möchten.“

Im Gegensatz zu Aufsichtsperson und Prüfendem muss die für die Videokonferenztechnik sachkundige Person nicht zwingend vor Ort sein. „Dies würde die Prüfungen gigantisch verteuern“, betont Töltl. Es reiche, wenn sie über eine Hotline zur Verfügung steht. In Prüfungen, in denen Aufgaben digital übermittelt werden, empfiehlt es sich, eine Hotline zur jeweiligen Aufgabenerstellungseinrichtung einzurichten.

Die Server, über die Prüfungen durchgeführt werden, werden in der Regel nicht bei der zuständigen Stelle stehen, sondern bei Dienstleistern, die höchste Sicherheitsstandards gewährleisten müssen, führt Töltl zum Thema Datensicherheit aus. Die Prüflinge erscheinen im System selbst nur als Nummer, sind also anonymisiert.

Was macht die virtuelle Prüfung mit den Prüflingen?

Das Leando-Team interessiert die Frage, was eine virtuelle Prüfung mit den Prüflingen macht: Ist die Gleichbehandlung gewährleistet, wenn ein Prüfling seine Prüfung in Präsenz ablegt, ein anderer an der gleichen Prüfung am PC teilnimmt? Wenn Knackgeräusche in der Leitung Prüfling oder Prüferin irritieren? Könnte das gerichtlich angefochten werden?

„Man kann nie die exakt gleichen Bedingungen für alle schaffen.“

Die Vermutung der Ungleichbehandlung räumt Harald Töltl aus: „In allen Prüfungen werden den Prüfenden Fragen oder Aufgaben gestellt – da gibt es keine Unterschiede zwischen Präsenz und virtuell. Wir werden es nie schaffen, eine Prüfungsform zu finden, die alle gleichmäßig berücksichtigt, was Ängste und Bedürfnisse angeht.“ Mancher Prüfling fühle sich am PC vielleicht sicherer als vor dem Prüfungsausschuss in Präsenz, andere irritiere möglicherweise die virtuelle Prüfungssituation. „Es ist nicht möglich, immer alle Störungen zu neutralisieren.“ Es könne sich auch jemand durch das Knistern einer Chipstüte eines anderen Prüflings in einer schriftlichen Prüfung erheblich gestört fühlen, gibt Töltl als Beispiel aus der Praxis an. „Oder ein Prüfer putzt sich die ganze Zeit die Nase.“ Er ist optimistisch, dass die Gerichte dies auf Basis der neuen Rechtslage nach § 42a BBiG auch so sehen werden.

Und die Prüfer und Prüferinnen? Auch für sie kann die Möglichkeit der virtuellen Prüfungsteilnahme eine Herausforderung sein. Es kann schwieriger sein, untereinander zu agieren, wenn man nicht im selben Raum ist. Es gibt technik-affine Prüfende, die sich über die neuen Regelungen freuen werden und andere, die davon wenig halten. „Eine mögliche Lösung, damit sich Prüfungsausschüsse einig sind, wäre es, diese danach zusammenzustellen, welche Prüfungsart sie bevorzugen“, schlägt Töltl vor.

Von A wie Aufgabenstellung bis Z wie Zulassung von Prüflingen

 § 42a Abs. 2 BBiG ermöglicht, dass sich Prüfungsausschüsse digital abstimmen können

Der zweite Absatz des § 42a wird für viele Prüfer und Prüferinnen eine große Erleichterung sein, sieht Töltl voraus. Denn durch ihn können viele Schritte, die bei der Vor- und Nachbereitung der eigentlichen Prüfung anstehen, jetzt digital erfolgen. Er lautet:

(2) Die zuständige Stelle kann bestimmen, dass die Prüfenden an Sitzungen von Prüfungsausschüssen oder Prüferdelegationen auch ohne Anwesenheit an einem Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.

Wenn es etwa darum geht zu entscheiden, dass ein Prüfling nicht zur Prüfung zugelassen wird, musste sich der Prüfungsausschuss in der Vergangenheit hierzu in Präsenz treffen. So ein Fall lässt sich jetzt digital lösen. Widersprüche gegen Prüfungsentscheidungen oder auch Täuschungshandlungen in der Prüfung sind weitere Beispiele, bei denen die Möglichkeit der digitalen Kommunikation viel Zeit spart.

Auch der Prozess der Aufgabenerstellung kann durch den Paragrafen erleichtert werden: Im Vorfeld der Prüfung könnte der Prüfungsausschuss sich beispielsweise über einleitende Fallbeschreibungen zu Prüfungen austauschen, diese neu definieren und festlegen, damit nicht immer dieselben Fallkonstellationen genutzt und damit bekannt werden. Und er kann sich über die Entwicklung von Aufgaben vor Ort verständigen, wenn die Aufgabenerstellung nicht zentral erfolgt.

Eine Einschränkung gibt es natürlich auch hierbei: Laut § 42a Abs. 2 darf zwar die zuständige Stelle bestimmen, dass der Prüfungsausschuss digital kommuniziert. Im Sinne einer guten Zusammenarbeit mit ihren ehrenamtlich tätigen Prüfenden wird dies aber nur dann der Fall sein, wenn die Prüferinnen und Prüfer mitmachen. „Wenn jemand beispielsweise Widersprüche mit den Kollegen lieber „face to face“ bespricht, sollte das berücksichtigt werden“, sagt Töltl. Denn es müssen alle Mitglieder des Prüfungsausschusses bei der Beschlussfassung mitwirken. „Die zuständige Stelle wird auch hier im Einvernehmen mit dem Prüfungsausschuss handeln.“

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Auf einen Blick: Was hat sich de facto geändert?

Für Prüferinnen und Prüfer:

  • Möglichkeit der virtuellen Teilnahme bei der Abnahme und Bewertung von Prüfungsleistungen per Videokonferenz
  • Mehr Handlungsspielraum bei der Prüfungsabnahme
  • Geringerer Zeitaufwand bei Absprachen
  • Weniger Fahrtzeiten und -kosten
  • Weniger Freistellung von der Arbeit
  • Entlastung / Erleichterung der Arbeit
  • Teilnahmemöglichkeit auch bei eingeschränkter Mobilität
  • Attraktivitätssteigerung des Ehrenamtes

Für zuständige Stellen:

  • Technische Voraussetzungen und Datenschutz müssen gewährleistet werden
  • Müssen entscheiden, ob eine Prüfungsleistung für die virtuelle Abnahme geeignet ist
  • Müssen Vergleichbarkeit (ohne Qualitätseinbußen) zu Präsenzprüfungen gewährleisten
  • Müssen Prüfungspersonal schulen
  • Organisation für virtuelle Prüfungsteilnahme aufwändiger

Potenziale:

  • Effizientere Prüfungen
  • Geringere Entschädigungsleistungen durch entfallende Fahrtkosten und kürzere Freistellung von der Arbeit
  • Verfahrensmodernisierung
  • Stärkung des Ehrenamtes
  • Rechtssicherheit für virtuelle Prüfungsteilnahme geschaffen
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Porträt von Harald Töltl
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Seit dem 1. August 2024 können Prüfende unter bestimmten Bedingungen auch virtuell Prüfungsleistungen abnehmen und bewerten. Und sie können sich zur Vor- und Nachbereitung im Prüfungsausschuss digital abstimmen. Neue Bestimmungen, die das Berufsbildungsgesetz (BBiG) ergänzen, machen dies möglich. Wir sprachen mit Harald Töltl über die Herausforderungen bei der Umsetzung der neuen Bestimmungen in die Prüfungspraxis.

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Über die neuen Bestimmungen im BBiG zur virtuellen Teilnahme von Prüfenden sprachen wir mit Harald Töltl.
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