„Wenn etwas leicht zu lesen ist, dann war es schwer zu schreiben“. Dieses Zitat, das verschiedenen Autoren zugeschrieben wird, passt laut Dr. Susanne Wagner, Geschäftsführerin des Instituts für Textoptimierung (IFTO) auch zum Thema Prüfungsaufgaben. „Die Textoptimierung ist so ein bisschen wie ein Handwerk, das man lernen muss“, betont die Sprachwissenschaftlerin. Wenn man sich als Ausbilderin oder Lehrer ein- bis zweimal im Jahr damit beschäftige, Prüfungsaufgaben zu erstellen, sei es sehr schwierig, das so hinzubekommen, dass die Aufgaben leicht zu verstehen sind.
Ein großer Teil der Prüfungsaufgaben, die zwecks Textoptimierung auf Dr. Susanne Wagners Schreibtisch landen, wird für Prüflinge aufbereitet, die Anspruch auf einen Nachteilsausgleich haben. „Dieser Nachteilsausgleich wird individuell für Menschen mit behinderungsbedingten Einschränkungen der Sprache gewährt, wie etwa Personen mit angeborener Hörschädigung oder Menschen im Autismus-Spektrum“, erklärt Wagner. Neben der sprachlichen Vereinfachung können bei diesen Zielgruppen individuell weitere Aspekte hinzukommen. So könne zum Beispiel ein Rahmen um jede Aufgabe dem Prüfling helfen, Anfang und Ende der Aufgabe klar zu erkennen.
Textoptimierte Aufgaben eignen sich für alle Prüflinge
Aus Wagners Sicht spricht jedoch sehr viel dafür, alle Prüfungsaufgaben textoptimiert zu gestalten. „Eine sprachliche Hürde ist methodisch unsauber, weil sie das Prüfungsergebnis verfälscht“, begründet Wagner. „Wenn ich eine Aufgabe nicht beantworten kann, weil ich die Frage nicht verstehe, wird am Ende auch das Sprachwissen benotet.“ Die Gütekriterien, Objektivität, Validität, Reliabilität seien durch sprachlich suboptimal formulierte Prüfungen schlechter zu erfüllen.
Eine sprachliche Hürde ist methodisch unsauber, weil sie das Ergebnis verfälscht.
Hinzu kommen die besonderen Herausforderungen der Gegenwart: „Etwa 30 % der Auszubildenden ist nicht mit Deutsch als erster Muttersprache aufgewachsen“, gibt Wagner zu bedenken. Hinzu käme, dass die Sprachverwendung sich insgesamt extrem verändert habe. Durch die starke Smartphone-Nutzung seien die Menschen zunehmend mehr im Hören und Sehen denn im Lesen und Schreiben geübt. „Die Vertrautheit mit Schriftsprache nimmt immer mehr ab.“

Neu ist das Thema Textoptimierung von Prüfungsaufgaben nicht. „Vor 20 Jahren haben wir Untersuchungen dazu gemacht, wie effizient Textoptimierung ist“, blickt Wagner zurück. „Neben den Auszubildenden mit Hörbehinderung profitierten auch diejenigen, die im Hauptschulbildungsgang waren. Sie haben statistisch signifikant weniger Fehler gemacht, wenn sie textoptimierte Aufgaben erhielten, und alle miteinander waren 20 Prozent schneller.“ 1
Aufgabenerstellungseinrichtungen haben das Thema im Blick
Es gibt also sehr gute Gründe dafür, auf breiter Ebene Prüfungsaufgaben sprachlich möglichst einfach zu formulieren. Als Pionier in dieser Sache nennt Wagner den Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA). Seit 2014 arbeitet er mit einem Spezialausschuss, der zentral textoptimierte Prüfungen erstellt. Dieser kommt während des Prozesses der Aufgabenerstellung an zwei Tagen hinzu, um mit Blick auf behinderungsbedingte Einschränkungen der Sprache die Prüfungen sprachlich noch einmal barriereärmer zu machen, beschreibt Wagner. Hierdurch und durch Schulungen für Aufgabenerstellende sind diese für das Thema besonders sensibilisiert und gut aufgestellt.
Berufliche Fachbegriffe sind Teil der Ausbildung, die müssen bleiben.
Eines bleibt für Wagner klar: „Berufliche Fachbegriffe sind Teil der Ausbildung, die müssen bleiben.“ Das Team schaut sich eher Fremdwörter an, die für die berufliche Handlungsfähigkeit nicht relevant sind. Ein Wort wie „adäquat“ käme in Prüfungen oft vor, habe aber mit der Fachbegrifflichkeit nichts zu tun. Natürlich gebe es hier auch Zweifelsfälle, die diskutiert würden.
„Trotz unserer hohen Expertise brauchen wir immer die Rückkopplung zu Fachleuten aus dem Beruf, die sicherstellen, dass die fachsprachlichen Elemente nach der Textoptimierung erhalten geblieben sind.“
Dr. Wolfgang Vogel, Geschäftsführer der Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluss- und Zwischenprüfungen (AkA):
"Textoptimierung muss bei der Prüfungsaufgabenerstellung stets mitgedacht werden, ist also eine Daueraufgabe. Es gilt dabei, sprachliche Barrieren in den Prüfungen zu vermeiden, um die Messung der berufsfachlichen Kompetenzen dadurch nicht zu verfälschen. Das darf aber nicht zu Lasten der beruflichen Handlungsfähigkeit gehen: Je nach Ausbildungsberuf kann aktive und passive Sprachkompetenz unterschiedlich intensiv Teil der beruflichen Handlungskompetenz sein und ist daher in den Prüfungen zu berücksichtigen, ebenso wie z. B. der sichere Umgang mit berufsüblichen Unterlagen wie Formularen, Vorschriften oder Gesetzestexten."
Dilemma: Aufforderungsverben und Antworterwartung passen nicht zusammen
Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Zusammenhang seien auch die Operatoren, sagt Wagner, also Aufforderungsverben, die in Prüfungen verwendet werden, um die Aufgabe entsprechend der Taxonomie-Stufen zu erstellen. Beispiel: Wird der Prüfling dazu aufgefordert, Wissen wiederzugeben („nennen Sie“) oder soll er sich selbst ein Urteil über etwas bilden („beurteilen Sie“)? Hier sieht Susanne Wagner Aufklärungsbedarf. „Zum einen sehen wir bei vielen Prüfungsaufgaben, dass die Operatoren nicht passgenau verwendet werden. Das heißt, die Antworterwartung passt oft nicht zu den Aufforderungsverben.“ Aus ästhetischen Gründen und um ein bisschen Varianz hinein zu bringen, fingen Aufgabenerstellende dann zum Beispiel mit dem Verb „Nennen“ an und machten dann mit „Beschreiben“ und „Erklären“ weiter, obwohl „Nennen“ die Antworterwartung sei.
Wenn Prüfungsaufgaben durch ihr Institut kurzfristig sprachlich optimiert werden , führt dies zu einem Dilemma: „Die Aufforderungsverben dürfen wir nicht ändern, aber wenn sie nicht zur Antworterwartung passen, sollten sie eigentlich geändert werden“. Im direkten Austausch mit den Fachausschüssen könnten solche Probleme direkt angesprochen werden, sagt Wagner. Bei größeren Erstellungseinrichtungen sei ihr Institut eher mit Schulungen eingebunden, um die Aufgabenerstellenden zu sensibilisieren und ihnen das Handwerkszeug mitzugeben.
KI soll Textoptimierung künftig unterstützen: Prototyp ist entwickelt
In Richtung Handwerkszeug geht auch das Projekt TOP-KI: „Wir versuchen unsere Erfahrung mit Textoptimierung computerisiert mit in den Aufgabenerstellungsprozess zu geben“, fasst Susanne Wagner zusammen. „An der Entwicklung des Tools ist der ZFA direkt beteiligt und auch andere Aufgabenerstellungseinrichtungen wie die AkA und die Prüfungsaufgaben- und Lehrmittelentwicklungsstelle (PAL) sind sehr interessiert.“ So habe die PAL etwa Daten zum Trainieren des Tools beigesteuert. „Wir haben darin jeweils Original- und textoptimierte Aufgaben, so dass die KI an diesen Vorher-Nachher-Beispielen lernen kann.“ Mittlerweile seien mehrere Zehntausend Aufgaben eingespeist. Ein Prototyp ist entwickelt.
Mehr Informationen zu TOP.KI – Inklusive berufliche Prüfungen ohne Sprachbarrieren durch Textoptimierung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz
Jacqueline May, Leiterin der Prüfungsaufgaben- und Lehrmittelentwicklungsstelle (PAL):
„Die Grundlage für die Aufgabenerstellung bildet unser Qualitätshandbuch, das regelmäßig optimiert wird. Diese verbindliche Anleitung sorgt für Klarheit und Konsistenz. Sie legt fest, dass beispielsweise Abkürzungen zu vermeiden sind und der Text frei von Widersprüchen sein muss. Sprachliche Präzision und Verständlichkeit gehören selbstverständlich dazu. Zur weiteren Unterstützung bei der Aufgabenerstellung testen wir für ausgewählte Berufe aktuell den Einsatz des Prototypen von TOP-Assist, einem KI-Tool zur Textoptimierung von Prüfungsaufgaben.“
Im Leitfaden zur sprachsensiblen Gestaltung wird anhand von Praxisbeispielen erklärt, wie Prüfungsaufgaben im Handwerk Schritt für Schritt sprachlich verbessert werden können: Sprachsensible Gestaltung von Prüfungsaufgaben, Detlef Buschfeld und Jennifer Jurkschat
Prof. Dr. Detlef Buschfeld, Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Köln
„Dass Prüfungsaufgaben im Handwerk sprachlich optimiert werden, ist wichtig – und wird nachgefragt. Uns erreichen regelmäßig Anfragen zu diesem Thema. Abhängig von der jeweiligen Vorgehensweise, wie, wann und von wem Prüfungsaufgaben erstellt werden, sind verschiedene Hilfestellungen zur sprachsensiblen Gestaltung möglich. Dahingehende Unterstützungsangebote wären sehr zu begrüßen."