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Interview mit dem Projekt NIBTEX
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Im Gespräch mit Leando stellen Sandra Döhler vom Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) und Fanny Hösel von der Technischen Universität Chemnitz NIBTEX vor. Sie gehen dabei auf die Zielstellung des Projekts ein, erläutern Besonderheiten der deutschen Textilindustrie und zeigen auf, welchen Nutzen die Branche aus nachhaltigerem Wirtschaften ziehen kann.

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Logo des Projekts NIBTEX
NIBTEX
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Leando: Der Textilindustrie wird nicht nachgesagt, besonders nachhaltig zu sein. Steckt schon deshalb viel Potenzial im Projekt NIBTEX?

Döhler: Die Textilbranche ist die zweitgrößte Konsumgüter-Branche der Welt. In Europa gehören rund 1,5 Millionen Beschäftigte zu ihr. Sie bietet also einen „großen Hebel“, wenn man Veränderungen anstoßen möchte. Global gesehen ist sie sicherlich nicht besonders umweltfreundlich. Ursachen sind ein hoher Wasser- und Energieverbrauch in der Produktion. Hier in Deutschland herrscht allerdings ein ganz anderes Bewusstsein in Sachen Nachhaltigkeit. Die heimischen Unternehmen sind für das Thema sehr offen und im Bereich Nachhaltigkeit bereits aktiv. Außerdem denkt man bei Textilunternehmen schnell an große Modemarken. Das spiegelt aber nicht die Wirklichkeit in Deutschland wieder.

Wie sieht diese Wirklichkeit stattdessen aus?

Döhler: Viele deutsche Textilunternehmen sind kleine und mittelständische Betriebe, die oftmals weniger als 100 Mitarbeitende haben. Sie kommen aus dem Bereich technischer Textilien und stellen textile Flächen her, spinnen hochwertige Garne oder veredeln Textilien. Auch unser Textilforschungsinstitut befasst sich im Wesentlichen mit technischen Textilien und ihren vielfältigen Anwendungs- und Verwendungsmöglichkeiten, etwa für die Bauindustrie oder den Flugzeugbau. Nur durch den Fokus auf technische Textilien konnten sich deutsche Unternehmen in den letzten 20 bis 30 Jahren das Überleben sichern. Für diese Textil-KMU versteht sich das Sächsische Textilforschungsinstitut als Dienstleister, da die Betriebe für viele Fragen keine eigenen Ressourcen haben. Das Projekt NIBTEX ist hierfür ein gutes Beispiel.

Was hat sich NIBTEX zum Ziel gesetzt?

Hösel: Wir planen und erarbeiten Maßnahmen, um das ganzheitliche Konzept der Nachhaltigkeit in Aus- und Weiterbildungsangebote der Textilbranche zu integrieren. Im Speziellen wird das aktuelle Weiterbildungsprogramm des STFI weiterentwickelt und um ein eigenständiges Angebot zum Thema Nachhaltigkeit in der Textilindustrie unter besonderer Berücksichtigung nachhaltigkeitsorientierter Ausbildungskonzepte ergänzt. Im Fokus steht die Stärkung von nachhaltigkeitsbezogener, beruflicher Handlungskompetenz. Darüber hinaus wird die Bereitschaft gefördert, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, um gegenwärtige und zukünftige Generationen zu schützen.

Welche Zielgruppe hat das Projekt?

Döhler: Wir adressieren alle, die ausbildend tätig sind – und zwar im betrieblichen Kontext. Damit ein Unternehmen insgesamt nachhaltiger agiert, müssen ja viele kleine Schritte gegangen werden. Ausbildendes Personal, das als Multiplikator für Nachhaltigkeit in einem Unternehmen wirkt, kann schließlich dazu beitragen, dass alle Mitarbeitenden unternehmerisch nachhaltiger denken. 

"Wenn man von organisationalem Wandel im Ganzen spricht, ist es wichtig, dass alle Ebenen eines Unternehmens mitgenommen werden – von den Azubis bis zur Führungsebene."

Fanny Hösel

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Welchen didaktischen Ansatz verfolgen Sie dabei?

Hösel: Wir verfolgen im Projekt einen subjektorientierten Ansatz: Wie gelingt es, dass die Beschäftigten und insbesondere die Azubis, Nachhaltigkeit als eine bedeutsame Handlungs- und Lernproblematik wahrnehmen? Gelingt dies, ist es nämlich viel wahrscheinlicher, dass sie es selbst wichtig finden, sich mit Nachhaltigkeit zu befassen. 

Und ausgehend von der Ausbildung lässt sich das ganze Unternehmen verändern?

Hösel: Wenn man von organisationalem Wandel im Ganzen spricht, ist es wichtig, dass alle Ebenen eines Unternehmens mitgenommen werden – von den Azubis bis zur Führungsebene. Wir sind der Überzeugung, dass wir eine sehr wirkmächtige Säule haben, auf die sich aufbauen lässt, wenn wir im Ausbildungskontext anfangen. Dafür muss zunächst das ausbildende Personal entsprechend geschult werden.

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Textilfabrik mit in Reihe angeordneter Maschinen
Osc AI - Adobe Stock
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Wo befindet sich das Projekt NIBTEX gerade?

Hösel: Wir sind mit einer Bedarfsabfrage gestartet. Mittels Dokumentenanalysen und Befragungen relevanter Akteurinnen und Akteure wurden Implementationsstände, Weiterbildungsbedarfe und Kompetenzziele definiert. Hier befinden wir uns gerade in der Auswertung – und am Übergang zur Konzeptionierung des BBNE-TEX-Grundlagenmoduls als zentrales Produkt des Projekts. 2025 steht ganz im Zeichen der Finalisierung des Grundlagenmoduls und der train-the-trainer-Maßnahmen für die Dozierenden des Sächsischen Textilforschungsinstituts, an dem das Modul ab Herbst 2025 pilotiert und dann für Interessierte der Branche angeboten wird.

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Grafische Darstellung der Phasen im Projekt NIBTEX
NIBTEX
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Was zeichnet das NIBTEX-Grundlagenmodul aus?

Hösel: Den Kern des Projekts bildet die Entwicklung eines umfassenden Bildungskonzeptes, in dem die Grundsätze des Programms "Nachhaltigkeit im Beruf – zukunftsorientiert ausbilden" sowie ein textilbranchenspezifischer BBNE-Kompetenzkatalog verankert sind. 

Welches Format wird das Grundlagenmodul haben?

Hösel: Das Grundlagenmodul wird im Pilot-Durchlauf als mehrtägiges Präsenz-Seminar beim STFI angeboten. Im Zuge der Verstetigungsstrategie ist es auch als Blended-Learning-Maßnahme denkbar. Es laufen auch erste Vorabsprachen, ob das Ganze digitalisiert bzw. teildigitalisiert werden kann. Für den Pilot-Durchlauf wird es aber das Präsenz-Format sein. 

Warum?

Hösel: Wir wollen den Teilnehmenden u.a. die Möglichkeit geben, nach dem Prinzip des "didaktischen Doppeldeckers" Methoden selbst auszuprobieren und zu reflektieren. Der Vorteil ist der Standort beim STFI in Chemnitz, denn hier gibt es große Labore und große Maschinen, an denen gelernt und gelehrt werden kann. Der praktische Anteil der Qualifizierungsarbeit kommt deshalb nicht zu kurz. Weiterbildung geht weit über die reine Wissensvermittlung hinaus. 

Wie sieht ein konkretes Beispiel für nachhaltiges Vorgehen in der Textilbranche aus?

Döhler: In der Textilbranche kann mehr Nachhaltigkeit erreicht werden, indem etwa bestimmte Schnitttechniken gelehrt werden, die Abfall minimieren. Dabei geht es darum, ganz intensiv die textile Fläche ausnutzen. Und dann können wiederum die noch immer anfallenden Abfallprodukte sinnvoll verwertet werden. Daraus kann beispielsweise ein Carbon-Vliesstoff werden, der als Batterieabdeckung verwendet werden kann. Daneben gibt es in energieintensiven Bereichen wie der Textilveredelung wunderbare Beispiele, wie Solarenergie zur Gewinnung von Trocknungsenergie eingesetzt wird.

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Logo Förderprogramm Nachhaltig im Beruf (NIB)
BIBB
Beschreibung

Nachhaltig im Beruf – zukunftsorientiert ausbilden

Nachhaltig im Beruf (NIB) stärkt die Umsetzung, Verbreitung und Verankerung einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE). Das BMBF-Programm unterstützt die Anwendung der Standardberufsbildposition "Umweltschutz und Nachhaltigkeit" in der Ausbildungspraxis, so dass die Fachkräfte von morgen bereits heute lernen, ökologisch, sozial und ökonomisch verantwortlich zu handeln. Das NIB-Programm ist kofinanziert über den Europäischen Sozialfonds Plus. Mit der fachlichen Begleitung ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beauftragt, mit der administrativen Begleitung die Knappschaft-Bahn-See (KBS).

www.nachhaltig-im-beruf.de

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Welches Verständnis von Nachhaltigkeit liegt NIBTEX zugrunde?

Hösel: Wir versuchen alle Dimensionen von Nachhaltigkeit, also die ökologische, ökonomische und soziale Dimension in eine Balance zu bringen und noch vorab dafür zu sensibilisieren, dass es überhaupt diese unterschiedlichen Dimensionen gibt. Es geht eben nicht nur um Energieeffizienz und Ressourcensparen. Gerade an die soziale Dimension, die insbesondere die Arbeitsbedingungen adressiert, wird nicht immer gleich gedacht. Hier besteht aber eine sehr große Nachfrage. Zudem ist in unserem Austausch mit Praxispartnern immer wieder auch die Bedeutung von sozialen Kompetenzen und Selbstkompetenzen überfachlicher Natur hervorgehoben worden. 

Was sind die Gründe hierfür?

Hösel: Es ist unerlässlich, dass Auszubildende eine gewisse Wertorientierung entwickeln. Das geht dann über den eigenen Arbeitsbereich hinaus und sorgt im besten Fall dafür, dass ein grundsätzliches Bewusstsein für bestimmte Themen etabliert wird. Aber auch das Aneignen von Hintergrundwissen gehört in diesen Zusammenhang. Auszubildende in der Textilbranche sollten wissen, wie die Rohstofferzeugung in Asien aussieht und welche Arbeitsbedingungen dort herrschen. 

"Durch die EU-Textilstrategie (…) herrscht großer Druck auf heimische Unternehmen. Aber es hängt natürlich auch von jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer ab, ob man dies als Last oder als Chance sieht."

Sandra Döhler

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Gibt es weitere Fähigkeiten, die entwickelt werden sollten?

Hösel: Ganz wichtig ist der Aufbau eines systemischen Denkens. Damit ist gemeint, sich selbst als Teil eines großen Ganzen zu verstehen und zu wissen, welche Arbeitsprozesse vor mir passieren und welche Arbeitsprozesse nach mir passieren. Damit verknüpft ist nämlich die Frage: Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich in meinem Arbeitsbereich? Kritisches Denken ist ebenfalls wichtig: Azubis sollten ermuntert werden, Dinge kritisch zu hinterfragen und etwas nicht blind zu akzeptieren, weil man es "schon immer" so gemacht hat. Es sollte ein Selbstdenken und Mitdenken ermöglicht werden.

Gibt es in Sachen Nachhaltigkeit eigentlich eine besondere Situation für europäische Unternehmen?

Döhler: Durch die EU-Textilstrategie aus dem Jahr 2022, die eine deutliche Verbesserung und Minimierung der Umweltauswirkungen der europäischen Textilindustrie bis 2030 fordert, herrscht großer Druck auf heimische Unternehmen. Aber es hängt natürlich auch von jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer ab, ob man dies als Last oder als Chance sieht. Um diese Anforderungen betrieblich umsetzen zu können, bedarf es jedenfalls fachkundigen Wissens und entsprechender Kompetenzen aus dem Bereich des Nachhaltigkeitsmanagements. Hier unterstützt NIBTEX.

Welche Rolle spielen die bereits angesprochenen Dozierenden der STFI-Akademie, die im Rahmen von train-the-trainer-Maßnahmen geschult werden sollen?

Hösel: Sie führen die Seminare durch, sind Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und leisten im Rahmen des Projekts noch viel mehr. Für uns sind sie ganz relevante Impulsgeber, die über ein sehr breites Erfahrungs- und Branchenwissen verfügen. Sie haben eine wichtige Rolle bei der Erstellung der Kompetenzmatrix gespielt. Und schließlich sind sie es, die für die Verstetigung des Projekts stehen. Sie bekommen durch die train-the-trainer-Schulungen die notwendigen Kompetenzen und das dazugehörige Material und tragen unsere Inhalte auch nach Projektende weiter. Durch Hospitationen und Befragungen werden die Dozierenden durch uns weiter begleitet.

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Wie kann das Ausbildungspersonal in Betrieben der Textilbranche dazu befähigt werden, nachhaltigkeitsbezogene Kompetenzen in Ausbildungsprozessen zu vermitteln? Dieser Frage widmen sich das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) sowie die Professuren für Erwachsenenbildung und Weiterbildung sowie der Betrieblichen Umweltökonomie und Nachhaltigkeit der Technischen Universität Chemnitz. Im Projekt "NIBTEX – Nachhaltig im Beruf: Etablierung von Qualifizierungsmaßnahmen für das Lehr- und ausbildende Personal in der Textilindustrie" arbeiten diese Partner gemeinsam mit einem engagierten Team von Ausbilderinnen und Ausbildern der Textilindustrie. Das Vorhaben, das zum Programm "Nachhaltig im Beruf – zukunftsorientiert ausbilden (NIB)" gehört, ist im Mai 2024 gestartet und läuft bis April 2026.

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Fanny Hösel und Sandra Döhler vom Projekt NIBTEX über Nachhaltigkeit in der Textilbranche.
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